Biografien

Inzest – Christine Angot

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Inhalt:

Drei Monate lang war ich homosexuell. Genauer, drei Monate lang glaubte ich, dazu verurteilt zu sein.“ So lautet der Anfang des Romans, und man fürchtet, ein homophobes Pamphlet vor sich zu haben, das die Lektüre nicht lohnt. Weit gefehlt — Inzest ist eines der aufregendsten Bücher seit langem, sein pervers überspanntes Stakkato brillant geschliffen. Die lesbische Geschichte einer Amour fou dient dabei nur als Einstieg, der etwas viel Profunderes zu Tage bringt. Insofern muss man auch den Klappentext als irreführend bezeichnen, stürzt er sich doch alleine auf die pikanten „Gründe und Abgründe dieser unmöglichen Liebe.

Die Ich-Erzählerin schildert den Telefonterror, mit dem sie ihre Ex-Affäre überzieht, da es ihr trotz aller Abneigung gegen Homosexualität unmöglich ist, mit ihr Schluss zu machen. Die Geliebte selbst (eine ruhige, zehn Jahre ältere Ärztin) bleibt dabei blass und kann die wütende Hassliebe, die sie in der Erzählerin auslöst, nicht erklären; sie ist nur eine Projektionsfläche. Was für ein Problem also hat die Erzählerin, warum kämpft sie mit der Auffassung, der Mann sei „besser als die Frau (als Liebhaber), der Weiße besser als der Schwarze, der Mediziner besser als der Arbeiter“? Wobei sie sich ihres Wahnsinns voll bewusst ist.

Ohne Christine Angots literarische Meisterleistung reduzieren zu wollen (und zu können), beginnt man in den folgenden beiden Kapiteln unweigerlich nach Erklärungen zu suchen: Mit vierzehn traf sie erstmals ihren Vater, einen angesehenen Linguistikprofessor, und wurde von ihm in den folgenden Jahren wiederholt missbraucht. Wie ihr Vater die Weiblichkeit seiner Tochter verachtete, wird die Tochter nun ihrerseits Underdogs hassen. In der Nähe einer lesbischen Beziehung bricht die Erinnerung an den Inzest — der ihr jede Sexualität, in der sie sich nicht leicht distanzieren kann, unmöglich macht — wieder auf. Beim Schreiben wird Christine Angot nie erneut zum Opfer, sondern führt den Stift ohne Rücksicht auf Verluste, tragikomisch, fast burlesk.
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Meine Meinung:

Das heftigste Buch, was ich je gelesen habe. Hier wird volle Aufmerksamkeit vom Leser erfordert. Verwirrend und doch klar ist Christine Angot in ihrem Schreibstil. Sie führt einen in den Abgrund des menschlichen Wahnsinns und es ist überraschend, wie vertraut einem dieser ist. Für anspruchsvolle Leser ein absolutes Muss.

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Autor

42 Jahre, verheiratet, Zwillingsmama, Hannoveranerin und begeisterte Leseratte.

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22. Februar 2008