Kinderbücher

Lina, die Entdeckerin – Katharina Schönborn-Hotter

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Dies Buch hat mich zum ersten Mal wirklich ins Grübeln gebracht, ob ich es meinen Jungs zeigen will oder nicht. Es handelt sich bei Lina, die Entdeckerin um ein aufklärerisches Kinderbuch, das zur Normalisierung und Enttabuisierung von Vulva und Sexualität beitragen soll. In dem Bilderbuch geht Lina, die Entdeckerin, auf Forschungsreise. Sie entdeckt und bereist ihren eigenen Körper. Dabei geht es hauptsächlich – aber nicht nur – um die Vulva. Zusätzlich zur Bilderbuchreise gibt es kleine Abschnitte mit informativem Wissen über Körperbehaarung und Körperhygiene, Nacktheit und die Monatsblutung. Das Buch soll für Kinder ab 3 Jahren geeignet sein.

Vorweg sei gesagt: Ich bin alles andere als prüde und habe keinerlei Probleme Körperteile bei ihrem Namen zu nennen oder meinen Jungs egal welche noch so pikante Frage frei und offen zu beantworten. Aber dies Buch hat mich ins Trudeln gebracht. Ich habe mit ein paar Freunden und Verwandten gesprochen und ihnen das Buch gezeigt und um ihre Meinung gebeten. Die Meinungen waren ziemlich gleichartig und allesamt sagten, dass sie das Buch nicht ihren kleinen Kindern vorlesen würden. Nur eine Freundin war begeistert.

Den Ansatz des Buches finde ich gut. Begrifflichkeiten gehören enttabuisiert. Absolut! Und wenn Kinder Fragen haben, gehören die kindgerecht beantwortet. Die Grundidee – da bin ich absolut dabei. Es heißt Vulva und nicht „da unten“ oder „Mumu“ oder ähnliches. Aber die Umsetzung missfällt mir und darauf möchte ich nun auch genauer eingehen.

Zunächst seien die Reime erwähnt. Ich finde sie schrecklich. Das reimt sich nicht wirklich und man fragt sich oft, was genau wollte man damit nun sagen. Als wäre es mit Biegen und Brechen irgendwie passend gemacht worden.

Am Beginn wird Lina vorgestellt – da finde ich das Buch noch ok. Es wird erklärt, wer sie ist und dass sie eine Forscherin ist und ganz genau hinguckt, wenn Andere nackt sind. Es folgt ein Part über Körperbehaarung, den ich auch ok finde. Doch dann folgt eine Seite bei der die kleine Lina in den Schnee pinkelt. Warum? Wieso pinkelt man in den Schnee? Und wieso tobt sie nackt im Schlamm rum und guckt in jede Ritze? Ok ich verstehe, wohin es führen soll, doch erscheint es mir unlogisch. Dass Mädchen sich nach dem Klogang von vorn nach hinten abputzen sollen, kann ich noch als Information nachvollziehen, wobei das im Alltag eine jede Mädchenmutter eh schon ihren Kids beibringt oder beibringen sollte, dafür braucht es an sich keinen Hinweis im Buch – denke ich. Den Part mit dem Baden und dass es keine Reinigungsmittel sondern nur Wasser bedarf, finde ich gut.

Die nächste Seite beinhaltet einen Comic bei dem Lina nackt unter der Dusche steht und ihr schambehafteter Papa fragt, ob sie sich auch „da unten“ gewaschen habe, was sie mit „Papa das heißt Vulva beantwortet. Den Part finde ich auch noch in Ordnung. Allerdings finde ich die Übersicht danach, wie man die Vulva umgangssprachlich nennt, sinnfrei. Ein Bild einer Kuh und darunter das Wort mumu. Oder auch das Bild einer Schmuckschatulle mit dem Wort Schmuckkästchen ergibt für kleine Kinder keinerlei Sinn. Auch die Katze mit dem Wort Muschi und weitere Worte sind für mich unlogisch den Kindern extra als Kleinkind beizubringen.

Danach geht es um „Wo kommen die Kinder raus“ und dann wird ein Bild gezeigt, wie man direkt von Innen heraus aus der Vagina herausgucken würde in das Gesicht der Hebamme, die einen rausholen will? Was zum Teufel? Das kapiert doch kein Kleinkind….

Im Anschluss geht es direkt weiter damit, dass Lina ihren Venushügel gedanklich besteigt und hinab steigt zum „Eingang“ sozusagen. Danach sieht man Zeichnungen von lauter verschiedenen Körperausschnitten. Mal mit gespreizten Beinen, mal geschlossen. Jede Vulva sieht anders aus. Dazu eine größere Detailzeichnung, was wo sitzt und wie heißt. Mir gefällt die Zeichenart dafür überhaupt nicht. Als könnte man sich zwischen ganz genau zeigen und wischiwaschi nicht wirklich entscheiden.

Danach kommt ein Bild wie Lina sich zur „Spalte“ hinab lässt wie ein Bergsteiger und das Höhlentor sieht“. Sorry, vorher heißt es man soll alles korrekt benennen und dann kommt Höhlentor und Spalte als Begriff??? Wie passt das zusammen. Die anschließende Fantasiezeichnung mit Sternen im Scheideneingang und den Blumen darum ergibt für mich auch keinen Sinn. Soll das der Eingang zum Paradies sein? Wirkt so…. hat das ein Mann gezeichnet? Das gehört für mich so nicht in ein Kinderbuch?

Das nächste Bild zeigt Lina mit Schwert in der Hand, wie sie eine faltige Höhle betritt. Vor ihr ein etwas rissiges Wändlein. Mir drängt sich die Frage auf, ob sie das Jungfernhäutchen zerschnitten hat… „Mit Scheide in der Hand betritt sie das Zauberland“ – ähm…. Zauberland? Wirklich jetzt? „Bereit ihr Schwert zu zücken, zu springen auf den Bärenrücken“ – was zur Hölle hat das mit einem Aufklärungsbuch zu tun? Der Inhalt des Reims an der Stelle ist grotesk in meinen Augen. „Oder sind dort etwa Drachen, Ungeheuer oder böse Wachen?“

Direkt danach folgt eine seltsame Detailzeichnung von Klitorisspitze, Harnröhrenöffnung, Scheidenöffnung und Schwellkörper. Nicht mal ich selbst kann viel mit dem Bild anfangen. Es sieht unnatürlich und seltsam aus. Die Erklärung, dass von der Klitoris nur ein kleiner Teil zu sehen ist, wie bei einem Eisberg, wird auch ohne weitere Erklärung für Kinder unzugänglich sein. Woher sollen die Kleinen wissen, dass beim Eisberg unter Wasser viel mehr Berg ist als oben zu sehen? Das ist eher ein Vergleich für größere Kids.

Bei den nächsten Bildern hat sich mein Verstand abgeschaltet. Lina klettert im Innern der Scheide herum. Das sollen sich kleine Kids vorstellen können? Und findet darin eine kleine Perle. „Die Wände sind dort knittrig, rosig, wundervoll warm, feucht und wohlig.“ – Ahja…. „Draußen war es Nervenkitzel, zu spielen mit dem kleinen Spitz’l“ – äh bitte wird hier gerade Selbstbefriedigung nahgebracht? Ich bezweifle zwar, dass Kleinkinder den Reim kapieren, aber wieso???? An dieser Stelle fragte meine Mutter mich, ob als nächstes der G-Punkt erklärt werden würde…. Spoiler: Nein.

Und dann surft Lina auf einer Binde auf einem Blutfluss hinaus? Und klammert sich mit der Perle an einen Tampon während das Blut von unten sie – ja was? Rausschießt? WTF???? Was zur Hölle? Was soll sowas? Ich kapiere es nicht…. das hat weder was mit Aufklärung zu tun noch mit enttabuisieren….

Auf der nächsten Seite wird der „Gag“, denn anscheinend sollte es einer sein, aufgeklärt. Lina steht mit Tampons in den Haaren und Händen und mit von Binden beklebten Knien im Zimmer ihrer Schwester, die sagt, sie solle ihre Sachen in Ruhe lassen. Damit endet Linas Forscherspiel und es kommt eine Erklärung zur Monatsblutung und wie man sie auffängt ohne weitere Worte zum Thema Sinn der Blutung, außer dass sie der Reinigung dient.

Das letzte Bild zeigt eine nackte Lina mit Spiegel in der Hand sich zwischen die Beine gucken. Da heißt es, dass Lina ihre Schwester mit Fragen durchbohrt und wie ihr diese von Selbstbefriedigung („von der Berührung, die sie bringt zum Funkeln“, dem Loch zum Pinkeln und von „den Eiern, die da lagen, wie im Obst der kleine Kern“ – der Part hat meiner Meinung nach keinerlei Bezug zu Dingen von vorher im Buch und ergibt dort keinen Sinn.

Eine Freundin fragte mich, wieso man Kindern Selbstbefriedigung schmackhaft machen sollte? Der Prozess würde doch von allein stattfinden. Eine andere Freundin fragte, wieso man Kinder indirekt schon so klein drauf stoßen sollte, dass es Unterschiede gibt und mit Gewalt drauf hinweisen, dass alle schön und gut sind. So kommen die Kids doch erst drauf, dass es auch anders sein könnte. Nur eine Freundin fand das Buch super, weil es total anders wäre und würde es ihrer Nichte sofort vorlesen, allerdings würde die Mutter das Buch niemals dulden.

Die Grundidee des Buches finde ich, wie erwähnt, gut. Aber mit der Umsetzung bin ich nicht happy. Meine Jungs bekommen das Buch nicht zu Gesicht. Und das hat nichts mit ihrem Geschlecht zu tun, denn durchaus kam schon früh die Frage, wie Frauen Pipi machen. Da wäre die Zeichnung mit dem Loch fürs Pipi machen ideal gewesen, wenn denn die Zeichnung mich nicht so verschrecken würde. Nun bin ich allerdings auch nicht das Maß aller Dinge und vielleicht verstehe ich das Buch auch schlicht nicht, denn das Aufklärungsbuch wurde mit dem Staatspreis und als eines der 15 schönsten Bücher Österreichs 2020 ausgezeichnet.

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Autor

42 Jahre, verheiratet, Zwillingsmama, Hannoveranerin und begeisterte Leseratte.

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