Die Schatten von Prag – Kischs erster Fall – Martin Becker und Tabea Soergel
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Inhalt
Der Roman „Die Schatten von Prag“ spielt, wie sollte es anders sein, in Prag im Jahr 1910. Ganz Prag ist in Aufruhr, weil im Mai der Schweif des Halley’schen Kometen die Erde kreuzen soll. Alle Augen richten sich gen Himmel, sodass niemand auf die Verbrecher auf der Erde achtet. Sie haben ein leichtes Spiel und somit ermittelt Kisch in seinem allerersten Fall. Dabei ist er kein Kommisar sondern ein berühmt-berüchtigter Reporter der „Bohemia“. Er lässt sich sogar als Schwerverbrecher ins Gefängnis sperren, um mit dem Kopf der Prager Unterwelt Portwein zu trinken. Kisch steht nicht allein da, sondern hat Hilfe von einem tschechischen Zöllner, der sich mit Panikattacken herumschlägt, einem sonderlichen Kollegen und von seiner Bekantnen Lenka, die eigentlich Medizinstudentin war.
Meine Meinung
Ich war sofort begeistert von dem Schreibstil. Ich fühlte mich direkt wohl und muss gestehen, dass mir ein sehr umfangreiches Bild von Prag im Jahr 1910 vor Augen stand. Die Wirren der gebildeten Gesellschaft als auch die der einfachen Arbeiter kommt sehr ausführlich rüber. Die Figuren sind allumfassend und man kommt ihnen nah. Lediglich mit Kisch selbst bin ich nicht richtig warm geworden. Hingegen Lena fand ich eher als Hauptfigur als Kisch, wobei es doch eigentlich um ihn geht.
Die Wirrungen im Leben der schwulen und lesbischen Community werden einem ebenfalls deutlich dargelegt. Auch die Problematiken einer voranschreitenden Demenz sind Bestandteil des Romans. Alles gipfelt in dem Aufdecken einer Verschwörung mit einem echten Showdown.
Ich will vom Inhalt gar nicht mehr verraten. Ich möchte lieber von meinem Leseerlebnis berichten. Die Geschichte selbst ist durchaus teils verworren und webt sich nur langsam ineinander. Am Ende kommt eine Auflösung, die bei mir allerdings auch keinen Aha-Effekt auslöste, sondern es war eher ein „okay, nun ja neue Info, die man vorher nicht so bekam, aber nun gut“. Die Geschichte lebt nicht zwingend von der Hauptstory, die fand ich eher langsam plätschernd, denn vielmehr von der Gesamtszenerie. Die vielen kleinen Einzelerlebnisse, die kleinen Momente, die die Stimmung der Zeit wiedergaben, fand ich sehr angenehm zu lesen. Fremd und doch bekannt, meine Neugier steckte nicht in der Grundgeschichte sondern wurde von den Momenten des Alltags dieses Lebens genährt. Der Krimi an sich – Nebensache und unwichtig. Das politische Drumherum, das Leben per Se in der Zeit – das ist der wahre Kern des Buches.